Modelle in der Physik
... sind eben Modelle, also erheben gar nicht den Anspruch, die absolute Wahrheit zu sein (falls es eine solche gibt). Ein Modell taugt für einen bestimmten Bereich, für ein bestimmtes Erklärungs-Schema oder einen bestimmten Denkstil (Begriff von Ludwik Fleck ). Alle unsere Methoden zur Beschreibung der Natur sind nach meiner Deutung stets ein Versuch, das (mit allen Sinnen oder Messgeräten) Beobachtete in ein Schema zu pressen. So wie jeder Messvorgang ein Vergleich der Realität mit einem bekannten Maß (grch.: metron:
[μέτρον, métron]) ist, ist eben das Modell der Vergleich der (modernerweise möglicherweise unsichtbaren, mikroskopischen und teleskopischen) Realität mit etwas Bekanntem.
In meinem Beispiel (siehe "Lehrgedichte" in "Poesie") werden auf humorvolle Art die verschiedenen Modelle für Elektronen dargestellt. Ein fingierter Streit von Professoren um "die Wahrheit" stellt wieder einmal unter Beweis, dass beim Streit um Wahrheit der Streit die einzige Wahrheit bleibt (Sinnspruch von Rabindranath Tagore). Jedes der Modelle ist irgendwie, irgendwo richtig ... manch eines genauer als ein anderes, aber für manche Zwecke taugt eben schon das ungenauere Modell.
Das ist nun einmal der Denkstil der modernen Naturwissenschaft. Man soll (wie seit der Antike nach Sparsamkeitsprinzip) die Modelle stets so einfach wie möglich gestalten. Wenn aber das einfachste Modell, z.B. die Hypothese der Thermodynamik und statistischen Physik, das Elektron sei ein Kügelchen, nicht mehr taugt, weil das Elektron am Doppelspalt Interferenzmuster zeigt, dann muss man halt das Modell wechseln. Wir verlassen also für diesen Versuch den Gültigkeitsbereich des ersten Bildes.
Weiters wünscht sich die Festkörperphysik ein Modell fürs Elektron nicht als einsames Teilchen, sondern als verschmiertes Etwas in einem Leitungs- oder Valenzband, wenn sie die Leiter-, Halbleiter- oder Nichtleitereigenschaften bestimmter Stoffe "erklären" will.
Mit diesem Modell würde hingegen wiederum die statistische Physik, die ja eigentlich nur wissen will, wieviele Teilchen sich wie schnell bewegen, ziemlich kompliziert aussehen. In deren Anwendungsbereich sind Teilchen oder Quanten (Pakete) sehr viel praktischer als ein "Elektronensee".
So gibt es in der Anschauung stets mehrere Modelle nebeneinander, die alle gleichzeitig ihre Daseinsberechtigung haben und von denen keins als "absolute Wahrheit" betrachtet wird. Jedes Modell, also "Bild" taugt für einen bestimmten Gültigkeitsbereich und für einen anderen nicht. So, wie auch jede mathematische Formel einen bestimmten Gültigkeitsbereich hat, manche Reihen oder Funktionen vielleicht im Bereich von
(natürliche Zahlen) und andere im Bereich der reellen Zahlen
...
Die Wahrheit lässt sich also vllt augenblicklich reduzieren auf den Satz, dass es Elementarteilchen namens Elektronen gibt. Wie genau man die sich vorstellen soll, das hängt davon ab, was man gerade damit erklären möchte ... und provoziert mithin die Frage, ob man sie sich überhaupt "vorstellen" soll und muss.
Ich kenne kein Naturgesetz, dass besagt, dass der liebe Gott die Natur bis ins Allerkleinste und Allergrößte so geschaffen hat, dass sie in die Alltagsanschauung aller Menschen passt. Also: Was ist daran schlimm, wenn man sich ein unsichtbares Detail wie das Elektron eben nicht eindeutig "vorstellen" kann?
Ich persönlich finde das gar nicht schlimm und daher sind meine Lehrkonzepte so verstehen, dass sie Bilder malen.
Bilder sind niemals das Original, sondern eben nur Bilder davon ... so wie bei dem Maler René Magritte eben das Bild der Pfeife nicht die Pfeife selbst ist:
(Grafik aus eigener Feder, frei nach Magritte:
La trahison des images, 1929)
Man kann sich das vorstellen, wie eine Abbildung in der Mathematik: Man hat das Original aus der realen Natur (Urbild, x-Wert einer Funktion) und das wird abgebildet auf ein Modell (y-Wert).
Wir sprechen im Alltag und in der Didaktik in solchen Bildern (also den y-Werten), weil sie unserer Alltagserfahrung entsprechen. Allerdings ist die wahre Natur der Dinge eben eine andere.
(smh 2012)